Die Krankenhauslandschaft in Deutschland steht vor der größten Umwälzung seit Jahrzehnten. In der neuen Folge von „Bremen, aber gesund“ sprechen Simon Zeimke und Rainer Bensch mit Judith Borsch, der neuen Geschäftsführerin der Bremer Krankenhausgesellschaft, über die Umsetzung der Krankenhausreform – und darüber, was daran aktuell hakt.
Im Mittelpunkt steht das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Ziel ist laut Bundesebene unter anderem: wirtschaftlich tragfähige Strukturen, weniger Bürokratie, bessere Steuerung von Patientenströmen und mehr Qualität durch Konzentration von Leistungen. Klingt erstmal nach einem vernünftigen Plan. In der Praxis ist es allerdings – so Judith Borsch – „gut gemeint, aber an vielen Stellen nicht gut gemacht“.
Warum es die Reform überhaupt gibt
Borsch beschreibt die Ausgangslage ziemlich klar: Deutschland hat im europäischen Vergleich eine hohe Krankenhausdichte, gleichzeitig herrscht Fachkräftemangel, und die Finanzierung passt seit Jahren nicht mehr zu den Anforderungen. Medizin wird komplexer, teurer – und Krankenhäuser laufen immer öfter in eine Schieflage, weil Betriebskosten und Investitionen nicht ausreichend abgesichert sind.
Die Folge: steigender Druck auf Häuser, Teams und Versorgung – bei gleichzeitig wachsender Unsicherheit, wie es politisch weitergeht.
Berlin will nachbessern – aber (noch) ohne Plan
Im Gespräch geht es auch um die angekündigten Korrekturen aus Berlin: Ein Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) steht im Raum, nur fehlt bisher ein Entwurf. Stattdessen kursieren Gerüchte – etwa zu veränderten Fristen bei der Vorhaltefinanzierung oder Anpassungen einzelner Regelungen.
Aus Sicht der Krankenhausgesellschaften ist vor allem entscheidend: Es braucht Ausnahmen und Spielräume, weil die Bundesländer extrem unterschiedliche Strukturen haben. Was in einem Stadtstaat funktionieren kann, kann im Flächenland schnell zum Versorgungsproblem werden – Stichwort Abstandsregeln, Mindestmengen, Personalvorgaben.
Bremen ist weiter als viele denken
Ein spannender Punkt: Bremen ist nicht erst seit gestern im Reformmodus. Schon seit mehreren Jahren läuft ein Prozess hin zu einem „Zielbild“ für die Krankenhausversorgung in Bremen und Bremerhaven – begleitet von Austausch zwischen Häusern, Behörde und Krankenkassen, plus externem Gutachten.
Und: Kooperation ist hier kein Fremdwort. Laut Borsch sind die Kliniken in Bremen längst über Kooperationsverträge miteinander verbunden. Das System ist klein genug, um Dinge pragmatisch zu lösen – was in großen Flächenländern deutlich schwieriger werden dürfte.
Konkret wird es bei den nächsten Schritten: Die Bremer Krankenhäuser müssen Leistungsgruppen anmelden, danach prüft der Medizinische Dienst die Qualitätsvorgaben (Personal, Strukturen, Ausstattung). Das kann zu Korrekturen führen – inklusive Nachbesserungsmöglichkeiten – und wird voraussichtlich 2026 richtig Wirkung entfalten.
Der Elefant im Raum: Bürokratie frisst Versorgung
Einer der härtesten Befunde in der Folge: Die versprochene Entbürokratisierung ist bislang eher Wunschdenken. Borsch beschreibt, dass Ärztinnen/Ärzte und Pflegekräfte teils mehrere Stunden täglich dokumentieren – Zeit, die in der Versorgung fehlt.
Noch brisanter: Das Gesetz wird eher komplexer – und könnte zusätzliche Kontroll- und Verwaltungsstrukturen erzeugen. Die Krankenhausgesellschaften haben dazu konkrete Vorschläge eingereicht, welche Doppel- und Dreifachdokumentationen weg können. Dahinter steckt eine klare Haltung: Mehr Vertrauenskultur, weniger Misstrauensapparat.
Patientenperspektive: In Bremen ist Qualität nicht das Hauptproblem
Auf die Frage, ob die Reform die Qualität in Bremen spürbar verbessert, reagiert Borsch fast schon mit einem Gegencheck: Wo ist sie denn schlecht? Die Versorgung sei vielerorts bereits gut bis exzellent, Spezialisierungen gebe es schon – etwa bei Fachkliniken. Große Qualitätssprünge durch „Zentralisierung“ erwartet sie daher in Bremen eher begrenzt.
Was aber sehr wohl zählt: Planungssicherheit. Krankenhäuser können aktuell kaum verlässlich wirtschaften oder Personal langfristig planen, weil die Rahmenbedingungen permanent in Bewegung sind.
Die Notfallreform: Eigentlich das dringendste Thema
Fast noch wichtiger als die Krankenhausreform ist aus Sicht von Judith Borsch die Notfallreform. Denn die Notaufnahmen sind vielerorts zur „Arztpraxis der Region“ geworden – auch wegen Terminproblemen im ambulanten Bereich und fehlender Steuerung.
Im Podcast geht es um mögliche Lösungen: bessere Triage, Hotline-Modelle wie in skandinavischen Ländern, klarere Zuständigkeiten – und auch um rechtliche Absicherung für Rettungsdienste, damit Entscheidungen vor Ort möglich sind, ohne dass alle Beteiligten aus Angst „lieber ins Krankenhaus“ sagen.
Der Kern: Notaufnahmen müssen für echte Notfälle da sein – sonst stehen am Ende die Falschen im Stau.
Fazit: Optimismus – aber nur mit Nachbesserung und weniger Papierkrieg
Rainer Bensch betont im Gespräch einen Punkt, der hängen bleibt: Reformen sind anstrengend, aber notwendig – und politisch braucht es dabei auch Wertschätzung für die Menschen in den Krankenhäusern. Judith Borsch ergänzt ein positives Bremen-Signal: Behörde, Krankenhäuser und Krankenkassen arbeiten hier vergleichsweise eng zusammen, um die Reform sinnvoll „auf Bremen runterzubrechen“.
Unterm Strich: Bremen ist organisatorisch gut aufgestellt. Entscheidend wird sein, ob Berlin realistische Fristen, machbare Personalvorgaben und echte Entbürokratisierung liefert – und ob die Notfallreform endlich mit der gleichen Wucht angegangen wird wie die Krankenhausreform.
Links zur Folge
- Krankenhausgesellschaft der Freien Hansestadt Bremen e.V.
- CDU Bremen
- Bremer Krankenhausspiegel
- Offizielle BMG-Übersichtsseite zum KHVVG
- Krankenhausreform-Infoportal des BMG
- DKG-Stellungnahme zum KHAG (PDF)
- GKV-Spitzenverband: Stellungnahme zum KHAG (PDF)
- Referentenentwurf Notfallreform (BMG, PDF)
- DKG-Stellungnahme zur Notfallreform (PDF)





